Lyrikerin Marion Bergmann gibt SternenBlick im Interview einen Einblick in die
Entstehung ihrer Gedichte und zeigt mit ihrer aktuellen Publikation "Glut der späten Röte"
wie bereichernd die wechselseitige Durchdringung von Dichtkunst und Malerei ist.
Symphonie aus Wort und Bild
In eine der Dichtergruppen bei Facebook entdeckte ich die Lyrikerin Marion Bergmann und war sogleich von ihrer
Dichtkraft begeistert. Daneben stellte sie ihren jüngst veröffentlichten Band "Glut der späten Röte" vor, ein Kooperationswerk mit dem Maler Fereidun Shokatfard. Die Kombination von Wort und Bild, macht dieses Buch zu einer tief verwobenen Einheit, die auf jeder Seite präsent ist. Ich freue mich,
dass Marion im zweiten SternenBlick-Band mitwirken wird.
Im Interview lässt sie uns ein wenig teilhaben am Entstehungsprozess ihrer Bücher:
SternenBlick im Interview mit Marion Bergmann
Du hast kürzlich dein Buch "Glut der späten Röte" veröffentlicht.
Ein besonderes Kooperationsprojekt. Erzähle uns bitte, wie es dazu kam.
Marion: "Es gab einen Impuls, der durch eine Internetanfrage ausgelöst wurde. Der iranische Maler Fereidun Shokatfard, der bis zu den 80er Jahren in Deutschland lebte, war von den Gedichten, die er auf meiner Homepage fand, begeistert. Er schrieb mir und nach der dritten E-Mail beschlossen wir, ein Buch miteinander herauszubringen: seine Bilder und meine Lyrik. Der Vater unseres Gedankens war der lyrisch kommentierte Kunstband »Colors of Paradise«, den F. Shokatfard 2005 in Los Angeles veröffentlicht hatte. Wir begannen mit dem Projekt »Glut der späten Röte«."
"Sprechende Bilder – Eine lyrische Wanderung" ist der Untertitel zu diesem Buch.
Beim Betrachten und Lesen erlebt man die wechselseitige Durchdringung von Bild und Gedicht.
Entstand beides unabhängig voneinander und wurde dann für dieses Buch
zusammengestellt oder entstanden deine Gedichte beim Anblick der Bilder?
Marion: "Es gab Aquarelle, die zogen schon beim ersten Betrachten Texte aus meinem lyrischen Fundus buchstäblich an. Im Wesentlichen aber begann ich damit, Neues zu schreiben, nachdem der Maler mir seine Bilder zur Verfügung gestellt hatte. Gemäldegedichte: eine ästhetische Gratwanderung zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen. In diesem Schaffensprozess existierte also die Impression vor der Wortgebung."
Aus deinem aktuellen Buch "Glut der späten Röte", welches ist dein
persönlich wichtigstes Gedicht? Was macht es so besonders?
Marion: "Es gibt für mich nicht das wichtigste Gedicht. Da gäbe es mehrere, abhängig von dem, was ich jetzt betrachten, erleben oder anderen zeigen möchte: ein Stimmungsbild vielleicht,
eine Wortspielerei, lyrisches Handwerk ...
Zu den Besonderen gehört auf jeden Fall „Tönen, geringste Verschwendung“.
Eines der poetologischen Merkmale meiner experimentellen Lyrik sind Senkrechtinformationen. Sie laden den Gehalt des Textes buchstäblich auf:
Tönen
verströmt
wortlos
Wenngleich diese Senkrechtinformation im Vers optisch hervorgehoben ist, so ist sie nicht die Einzige.
Auch andere Zeilen lassen sich spielerisch, jenseits ihrer notierten Reihenfolge, miteinander verbinden. Beispiele:
geringste verschwendung
in der sphären musik
∗
weil der ton dich ergreift
ist`s ein beten
∗
weil du atem bist
so die erde dich trägt
Ein weiteres Stilmittel ist die Anapher:
weil der ton dich ergreift
weil du atem bist
Der Vers bekommt auf diese Weise mehr Spannung; der Rhythmus wird eindringlicher. »Tönen« erklingt gleich einem Gesang und ist in Worte gesetzte Musik."
Du bringst deine Werke im Selbstverlag heraus.
Denkst du, das wird die Zukunft für unabhängige Lyrik?
Marion: "Selbstverlage sind legitim und sicherlich eine Antwort darauf, dass Autoren gehört und gelesen werden wollen. So eine Gründung ist aber kein Spaziergang. Wer glaubt,
dass er seine Bücher verkaufen kann, nur weil er sie gedruckt anpreist, der irrt. Da gilt es, eine Menge an Fachwissen aufzubauen und bezüglich der hierfür anfallenden Arbeiten ein Fass ohne
Boden zu bedienen. Insofern sehe ich hier keine Zukunft im Selbstverlag, sondern eher eine Übergangslösung, eine Möglichkeit, die man nutzen könnte und die man zuvor bedenken sollte.
Verlage halten unter anderem Autoren auch den Rücken frei. Das ist viel wert. Dennoch möchte ich anmerken, dass ich mit Blick auf die Praxis erfolgreicher Verlage sagen kann, dass Lyrik meist
nicht von Verlegern entdeckt wird. Den natürlichen Grund, dass dies in der Regel so ist, sehe ich in der Vermarktung. Mit Gedichten lässt sich bekanntermaßen keinen Profit erzielen. Solche Bücher
bleiben Liebhaber-Lektüre. Die gilt es erst einmal, zu finden. Klar ist: Es wird nur ein kleiner Leserkreis erreicht werden können.
Gegenläufig für das Auffinden junger Lyrik ist zudem die durch die Digitalisierung entstehende Flut der gedruckten Blümchenlyrik, der Gebrauchslyrik und die Gesamtbreite unprofessioneller
Veröffentlichungen. Meiner Meinung nach dürfte ein interessierter Leser inzwischen schon ermüden, wenn er nur das Wort »Gedichte« hört. Was ich hier sagen möchte, ist, dass die Menge an zu
erwartenden Selbstdrucken durchaus die literarische Qualität der Angebote verwässert. Diese Gefahr zieht eo ipso alternative Vermarktungen ins Minus. Selbstverlage werden gering geschätzt.
Selbstverleger bringen Unlektoriertes und Unprofessionelles auf den Markt, so der Tenor. In die Liste der Verlage werden sie bei der Wikipedia nicht aufgenommen und ein „Indie-Verlag“ sind sie
auch nicht. Das besagt schon die Messlatte der Kurt-Wolff-Stiftung."
Hast du vorher versucht einen Verlag zu finden oder war dir von Anfang an klar,
dass deine Bücher nur in Eigenregie entstehen?
Marion: "Die Gründung meines Diotima Verlags war die sinnhafte Folge nach den Vorerfahrungen mit Kleinverlegern, bei denen ich zwischen 1999 bis 2002 veröffentlichte. Dafür bin ich dankbar. Ohne diese »Lehre« stünde ich heute sicherlich nicht an dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Für die aufwändige Edition der »Glut der späten Röte« hätte ich 2014 erneut einen Dritten finden müssen und für die nächsten Projekte vermutlich einen Vierten, da ich das Genre wechsle. Manchmal bringt uns das Leben zu Entscheidungen, die wir uns zuvor nie ausmalten."
Du hast schon einige Gedichtbände veröffentlicht. Erzähle uns bitte,
was dir generell wichtig ist bei der Zusammenstellung deiner Bücher.
Marion: "Ich empfinde den Schaffensprozess als Meditation. Es ist die innere Haltung des absichtslosen Tuns. Erst in der Phase, wenn nahezu alle Texte vorliegen, beginne ich,
zusammenzustellen. Mir zeigt die Wesenhaftigkeit des Werkes, was in der letzten Stufe noch zu überarbeiten ist; nicht, meinerseits etwas zu wollen und anzustreben, sondern zu sehen, was ist. Wo,
gemessen an diesem, erwächst die eigene Aufgabe?
Ein Beispiel:
Als ich die »Rose von Jericho« schrieb, - ein Langgedicht in sieben
Kapiteln, mit Prolog und Epilog - fühlte ich kurz vor der Fertigstellung, dass etwas Wesentliches fehlte. Aber was? Ich legte die ausgedruckten Seiten aus. Nach einigen Stunden der Betrachtung
erkannte ich die Binnenstruktur des Gedichts als einen Stern.
Der Prolog war in sieben Strophen mit je sieben Zeilen geschrieben. Jede der Strophe korrespondierte mit einem Kapitel; Kapitel eins wiederum mit Kapitel sieben; zwei mit sechs; ebenso die
anderen miteinander. Die Erfahrung, an welcher Stelle genau das innere Gefüge des Poems noch eines Textes bedurfte, war mir eine Offenbarung."
Auch einige YouTube-Videos hast du bereits produziert, in der du Zeichnungen,
Worte und Musik mit deiner Stimme kombinierst. Ist das die Ganzheit, die deine Dichtung
benötigt und glaubst du, dass YouTube das aktuelle Medium für Poeten ist, seine Leser zu erreichen?
Marion: "In den USA gibt es viel mehr Lyrik-Buchtrailer bei Youtube als hier. Wir können davon ausgehen, dass dieses Medium auch in Europa zukünftig besser genutzt wird. Wie das
Wort »Medium« besagt, ist es nur eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit auf ein Produkt aufmerksam zu machen. Ich wollte die Präsentationsform ausprobieren, damit spielen. Für meine ersten
Video-Trailer habe ich, mit dem Mut zur Lücke, keine professionellen Agenturen in Anspruch genommen. Es gibt noch einige mehr, die ich wegen der GEMA nicht hochgeladen habe. Mit dem Blick auf die
Kosten kann man manches nicht umsetzen. Das gilt für viele andere Schaffende ebenso.
Du sprichst die »Ganzheit« an:
Ich beziehe mich hier gern auf einen Gedanken von Wassily Kandinsky:
Der Künstler ist aufgefordert, selbstverantwortlich ein »Priester des Schönen« zu sein. Hierbei geht es um die Vermittlung des Geistigen in der Kunst als Auftrag. Die Lyrik, eine der Musen, ist
nach meiner Auffassung ein künstlerisches Zentrum, das unmittelbar mit der Malerei, mit der Musik und mit dem Tanz in Verbindung steht. Einige Gedichte habe ich von einer Tanz-Improvisation
begleitet gelesen.
Was sind deine nächsten Pläne in Bezug auf deine Dichtung?
Marion: "Da gibt es keine. Sobald mir neben meinem Vollzeitberuf und dem Verlagsaufbau genügend Zeit zur Verfügung steht, möchte ich gern ein Romanskript fertigstellen und die Kern-Idee eines philosophischen Kinderbuchs wiederaufnehmen. Im Fundus der Möglichkeiten ist der Impuls entscheidend, um die Materialisierung der Idee bis hin zum Buch zu begleiten. »Geplant« hatte ich vordem die Fortführung des begonnenen Romans. Doch die Energie der »Glut der späten Röte« kam völlig unerwartet diesem Projekt zuvor. Ich möchte schließen mit einem Anti-Descartes Gedicht:
Ich danke Marion für diese spannenden Einblicke in Werk und Wirken und dem
Künstler Fereidun Shokatfard, dass ich seine wundervollen Bilder mit einbinden durfte.
Besucht den Diotima Verlag
und entdeckt weitere lesenswerte Bücher
und natürlich auch die Homepage des Malers "Colors of Paradise"