SternenBlick fördert nun auch gezielt aufstrebende Poeten.
Das Zwillingspaar Patrick und Kevin Hattenberg realisieren den ersten Band der neuen Reihe.
Entstanden ist ein nie dagewesenes Werk reich an Menschlichkeit und vollendeten Versen.
Zwei Brüder, ein Werk
In der neuen Rubrik "Poetenförderung", wird SternenBlick künftig aufstrebenden Dichtern, die bisher keine Veröffentlichung haben, hilfreich zur Seite stehen.
Den Auftakt macht ein ganz besonderer Band: "Hirnherbst – Wahrheit. Zerfall. Wir" ist das Werk der 1992 in Kiel geborenen Zwillinge
Patrick und Kevin Hattenberg. Beide studieren dort zur Zeit Psychologie und waren begeistert von der Idee ihren eigenen, lyrischen Band mit SternenBlick publizieren zu können.
Mehr über ihre näheren Beweggründe für das Thema, über die mitunter harten Arbeitsphasen bis zur Vollendung und warum sie keine Sekunde gezögert haben, ihre Erlöse zu spenden, verraten sie uns im
Interview:
SternenBlick im Interview mit Kevin & Patrick Hattenberg
Nun ist er endlich da, euer erster eigener Gedichtband.
Herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung!
Wie fühlt sich das für euch an, jetzt da es vollbracht ist?
Und seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?
Patrick: "Ich bin ziemlich erleichtert, dass es nun endlich geschafft ist. Es war ein langer Weg."
Kevin: "Das Gefühl ist unbeschreiblich. Mein Bruder hat ganz Recht, es war ein sehr langer und mühevoller Weg. Wir beide sind Perfektionisten und deshalb musste wirklich jedes Wort sitzen, um unsere Aussage zu verdeutlichen. Und wir haben erst die Hälfte des Wegs geschafft. Nun kommt die Aufregung und Neugier darüber, wie sich unser geistiger Zögling in der Welt machen wird."
Patrick: "Gerade weil es so ein langer Weg war, sind wir unserem Anspruch gerecht geworden. Und das erleichtert mich schon sehr."
Wie entstand die Idee zu einem gemeinsamen Gedichtband und was ist die Intention hinter "Hirnherbst"?
Kevin: "Die Inspiration zu „Hirnherbst“ bekam ich im April 2014. Damals hatten mein Bruder und ich das Seminar „Geschichte der Psychologie“ bei unserem sehr geschätzten Professor Rainer Mausfeld. In diesem Seminar hat er uns gezeigt, wie man mithilfe der Werkzeuge der Psychologie seine eigenen Vorurteile wissenschaftlich bestätigen kann. „Der Witz liegt in der Frage“, meinte er zu uns damals. So ließen sich Vorurteile über Rassen, Geschlechter oder soziale Schichten einfach per psychologischen Tests beweisen, ohne dass sich die jeweiligen Gruppen tatsächlich unterschieden. Wichtig allein ist die Intention des Forschenden. Die Unmenschlichkeit versteckte sich hinter dem Deckmantel der Fakten."
Patrick: "Als Kevin mir seine Idee mitteilte, war ich sofort Feuer und Flamme. Es war, als hätte diese Aussage mein ganzes Leben in mir geschlummert und nur darauf gewartet, hinreichend zu reifen. Und dann war es Zeit. „Hirnherbst“ ist nicht zufällig in der Form einer Therapie geschrieben. Diese Idee stand von Beginn an und durchzog unseren Schaffensprozess vollständig. Wir wollten eine Heilung, eine Verbesserung. Wir wollten Hoffnung."
Kevin: "Denn auch für uns war es eine Art Therapie. „Der Witz liegt in der Frage“, und ich habe damals stets die falschen Fragen gestellt. Ich habe immer nach Vergleichsdimensionen gesucht, in denen ich besser war als andere. Ich habe Menschen nach ihrem Wert bewertet. Erst durch „Hirnherbst“ habe ich gelernt, dass der Wert eines jeden Menschen vergleichslos ist."
Schablone
man lege die Schablone auf
und zeichne die Konturen
dabei folge man stets
der Anleitung
der Rest ist nur
Schattierung und Radierung
Figur-Grund Segmentierung
eine Silhouette der Figur
ohne Korrektur
ein Bleikonterfei
irgendwo zwischen
schwarz und weiß
nur ein Abbild
der Graupause
der Schablone
man lege die Schablone auf
und sie
passt
fast
je nach und
zu jedem
Motiv
So genau
sieht niemand aus
doch so genau
sieht niemand hin
Von der ersten Idee zur finalen Fertigstellung, wie lang war die Arbeitsphase
und wie muss man sich das konkret vorstellen? Gab es Diskussionen oder
seid ihr (mit Bezug auf euer Zwillingsdasein) auch im Arbeitsprozess harmonisch?
Patrick: "Ohne mich wiederholen zu wollen, aber es war wirklich ein verdammt langer Weg. Insgesamt haben wir ein ganzes Jahr intensiv an dem Werk gearbeitet. Und das teilweise täglich mehrere Stunden. Für die Horrorballade „Blutgeschöpf im Spiegel“, das den finalen Teil der Expositionstherapie darstellt, habe ich mich zwei Wochen lang in meinem Zimmer eingesperrt und täglich mehr als sechs Stunden gearbeitet. Da habe ich dann nur von Instantnudeln gelebt…"
Kevin: "Mir ging es darum, eine möglichst große und ertragsreiche Aussage in das Werk hineinzuarbeiten. "Hirnherbst“ lässt sich als ein großes Konzeptwerk betrachten. Dieses
Konzept in 60 Gedichten hineinzuweben, dass jedes Gedicht alleine und im Kontext gelesen werden kann und muss, war ein Mammutprojekt. Dabei wollten wir selbstverständlich psychologisch akkurat
arbeiten und eine möglichst tiefe Ebene der Bedeutung erreichen.
Insgesamt habe ich 30 Gedichte verworfen, weil ich es einfach besser machen konnte. Es musste sich am Ende alles richtig "anfühlen", und dafür haben wir keine Arbeit gescheut. „Krankheit“ musste
ich vier Mal komplett neu schreiben. Das gestaltete sich äußerst schwer, da es in einem klassischen Odenmaß geschrieben ist und somit urstrenge Form und Inhalt plus Bedeutung für das Werk stimmen
mussten. Da litt schon einmal die Unileistung darunter…"
Patrick: "Außerdem haben wir jedes Gedicht so lange überarbeitet, bis beide von uns zufrieden waren. Und da ging es häufig um Verständlichkeit, Ausschluss von Fehlinterpretationen, Bildkonsistenz, Passung von Metrum/Form, Passung in das Gesamtkonzept, Metaphernstringenz und vor allem um eine künstlerische Sinnbildlichkeit. Und wir sind wirklich ziemlich gut im Kritisieren ;)."
Die enthaltenen Gedichte könnten unterschiedlicher vom Stil kaum sein:
Vom klassisch strengen Reimschema zu experimentellen Wortclouds ist scheinbar alles dabei.
Wie ergab sich diese Unterschiedlichkeit? Warum ist euch in manchen Gedichten das Einhalten
der Metrik so wichtig und wie kam es eigentlich zu den Wortcloud-Gedichten?
Kevin: "Im Gegensatz zu vielen anderen Dichtern haben mein Bruder und ich unsere Dichterkarriere mit metrischen Gedichten begonnen. Wir hatten schon immer einen gewissen Anspruch auf Objektivität."
Patrick: "Für dieses Werk mussten wir uns richtig zwingen, etwas Neues zu machen. Noch nie zuvor haben wir Freiformen oder Wordclouds verwendet. Aber sie passten einfach ins Konzept. Unsere Patienten sind unsicher, zerstreut und fühlen undefinierte (und später definierte) Gefühle, die so vielfältig sind, dass die normale Versform einfach nicht ausreichte, um unseren Inhalt darzustellen. Ein Gedicht wie „Metastasen“ wäre schlichtweg unmöglich in Worte zu packen."
Kevin: "Uns ist die Aussage des Werkes unermesslich wichtig. Jedes Gedicht hat von uns die Form zugewiesen bekommen, die ihren Inhalt und die Wirkung auf den Leser denkbar maximiert."
Auszug aus dem Wortcloud-Gedicht "Metastasen"
Mir ist keine Veröffentlichung eines gemeinsamen Gedichtbandes von Zwillingen bekannt.
Wie habt ihr zur Dichtung gefunden und wieviel steckt von jedem von euch in dem Buch
(und warum lasst ihr den Leser im Dunkeln darüber, von wem welches Gedicht stammt)?
Patrick: "Zwillinge sind schon cool, nicht wahr? (lach)"
Kevin: "Ich habe meinen Bruder mit dem Dichten angesteckt. Bei mir fing alles 2009 an. Zur Dichtung habe ich in einer schweren Zeit meines Lebens gefunden, als meine Großmutter verstorben war und ich meiner Mutter mit der Trauer geholfen habe. Zu dieser Zeit habe ich für mich gemerkt, dass die Dichtung mir die Möglichkeit gibt, mich mit meinen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen und Menschen etwas zu geben. Für sie da zu sein, wenn ich nicht anwesend bin."
Patrick: "Kevin hatte mich relativ schnell angesteckt mit seiner Schreiberei. Wenn man so viel mit Jemandem zu tun hat, ist es schwierig, nicht irgendwann von der Begeisterung
angesteckt zu werden. Und das ist auch gut so!
Und zu der Dunkelheit, in der wir den Leser lassen: Kevin und ich erzählen eine Geschichte. Viele Episoden dieser Geschichte sind persönliche Erlebnisse, die wir gemeinsam durchlebt haben. Dabei
ist es völlig irrelevant, wer von uns beiden die Geschichte erzählt. Allein die Geschichte ist wichtig!"
Kevin: "Ich habe viel unter den Vergleichen mit meinem Bruder gelitten. Wie häufig haben wir uns gestritten, weil andere uns verglichen haben. Endlich haben wir die Möglichkeit, der Welt etwas zu geben, ohne dass unsere Unterschiede oder Gemeinsamkeiten verglichen werden können. Keine zwei Teilwerke geben wir der Welt. Sondern ein Werk. Und das macht mich glücklich."
Den Titel eines eurer Gedichte ("Hirnherbst") auch als Buchtitel zu verwenden,
kam von eurer Herausgeberin. Ward ihr sofort einverstanden und wie gefiel euch
generell die Begleitung bis hin zur Veröffentlichung?
Kevin: "Ja! Unser Arbeitstitel klang mehr nach einem Sachbuch. Der Titel „Hirnherbst“ gibt dem Gesamtkonzept genau den Titel, der unsere Aussage maximal unterstützt. Jetzt bin ich schon auf die Interpretationen gespannt."
Patrick: "Da haben wir wirklich Glück gehabt! Unsere Begleitung durch das Projekt war wundervoll. Es wurde immer auch auf unsere Wünsche Rücksicht genommen und wir haben
hilfreiche Tipps bekommen. Und das Ergebnis ist schlussendlich einfach unbeschreiblich geworden. Jede Frage wurde unmittelbar beantwortet und die Kommunikation hat einwandfrei funktioniert. Das
findet man nicht sonderlich häufig…
Und wann bekommt man schon einmal die Möglichkeit, mit so einer kompetenten Herausgeberin zusammen zu arbeiten?"
Der Hauptansatz von SternenBlick, neben der Förderung der Poesie, ist die Gemeinnützigkeit.
Ihr habt keine Sekunde gezögert den Erlös aus dem Verkauf eures Titels auch zu spenden. Warum?
Patrick: "Unser Werk beschreibt eine Menschwerdung. Der Mensch sucht und findet sein Ich im Wir. Sein Wir im Ich. Wer uns liest, der merkt, dass Menschlichkeit eines unserer zentralen Themen ist. Demnach war es für uns selbstverständlich, dass wir die Gelegenheit ergreifen, selber Mensch zu sein!"
Kevin: "Wir stammen aus bescheidenen Verhältnissen und daher war es für uns auch eine Angelegenheit des Herzens. Mitmenschlichkeit ist kein sonderlich präsentes Thema in unserer schnellen Zeit, in der man sich in karitativen Aktivitäten mehr für den Lebenslauf als für die Hilfe per se 'engagiert'."
Patrick: "Der Gedanke, dass wir Kindern ermöglichen können, eine schönere Kindheit obgleich widriger Rahmenbedingungen zu haben, erfüllt mich selbst mit sehr viel Freude. Wie Kevin schon sagte kennen wir Zeiten, in denen wir nicht viel hatten. Ich denke, da ist die Unterstützung der "Berliner Kinderhilfe Schutzengel" auch für uns eine Herzensangelegenheit."
Homo Utopia
Aus Verletzung willst du jemanden verletzen,
der verletzt wird und verletzt. Es schließt das Runde
sich und seine Bande kreisen um den allerletzten.
Jeder schlägt und trägt von andren eine Wunde.
Welche Wogen wiegst du in dir, welche Schwächen?
Hilft verletzen, Lasten leichter zu ertragen?
Willst du Schmerzen rächen oder Kreise brechen?
Was willst du vor dir und deinem Herz verbergen?
Freund, so bist du mit der Welt und dir zufrieden,
bist du ganz du selbst, was regt dich zu verletzen?
Große nehmen jeden Mensch, wie er beschieden,
und sie können sich dem Kreislauf widersetzen.
Welche Empfehlung möchtet ihr euren Lesern mit auf den Weg geben?
Patrick: "Der "Hirnherbst" ist ein Konzeptwerk. Es sollte von Beginn bis zum Ende gelesen werden. Es ist ein Prozess. Und bei diesem Prozess wünsche ich Dir ganz viel Spaß und vor allem ganz viel Herz. Ich weiß, wir verlangen Dir viel ab. Aber das bist Du auch wert."
Ich danke Kevin und Patrick für das spannende Interview.
Weitere Informationen zum Werk "Hirnherbt –Wahrheit.Zerfall.Wir" findet ihr hier.
Verpasst nicht das Interview mit dem Illustrator Alexander Maul,
der die Texte von "Hirnherbst" optimal dargestellt hat.
*Alle abgebildeten Gedichte sind von Patrick & Kevin Hattenberg aus dem Buch "Hirnherbst".
Danke an Tom Ehrhart, der das
gelungene Autorenfoto der Brüder erstellt hat.