SternenBlick fördert auch in diesem dritten Band der Reihe aufstrebende Poeten.
Ben Kretlow erschafft mit "#DieLetzteFarbe" einen neuartigen Gedichtband, der fesselt und berührt.
Im Interview verrät er, was ihn inspirierte und warum das Werk ein Auftakt zu etwas Weitreichendem ist.
Poesie lebt!
Im dritten Band unserer Rubrik "Poetenförderung" fesselt Initiator, Ben Kretlow, mit einer Art lyrischem Theaterstück.
Der in Kiel geborene Dichter (links) hat bereits mehrere Bücher (E-Books) im Selbstverlag herausgegeben.
Immer sind sie klug durchdacht und editorisch wertvoll aufbereitet. Auch "#DieLetzteFarbe" wurde mit Sorgfalt erarbeitet und ist der Beginn einer Geschichte, die sich in Kürze weiter erzählt in einen Roman und einer Reportage.
Im Interview verrät uns Ben mehr, zu diesem besonderen Ansatz und seiner dahinterliegenden Idee:
SternenBlick im Interview mit Ben Kretlow
Als Initiator von SternenBlick macht es dich sicherlich besonders stolz,
nun auch dein erstes Printbuch mit SternenBlick veröffentlichen zu können.
Warum wolltest du nicht den Weg über einen klassischen Verlag gehen?
Ben: "Ich habe in den letzten Jahren primär im Selbstverlag veröffentlicht, weil ich denke, dass Kunst frei sein sollte. In all ihren Formen. Das ist ihre Bestimmung, das ist die Grundlage für ihr Atmen aus jeder Zeile, aus jeder Szene, jedem Ton und jeder Farbe. Die Kunst ist nur derart frei wie der, der sie in die Welt trägt und bestaunt wissen will. Daher war mir von Anfang an bewusst, dass das kein leichter Weg ist, sich mancher konventionellen Lösung zu entziehen – sprich: der Herausgabe der Werke durch einen Verlag einzuwilligen, für die es diverse Möglichkeiten in der Vergangenheit gab, aber welche mir eben nicht in der entscheidenden Konsequenz zusagten. Es war mir wichtig, dass der Ausdruck meiner Arbeit nicht von Parteien bestimmt wird, die rein monetär motiviert sind. Das soll nicht nach Generalverdacht klingen, keineswegs; es gibt genug wundervolle Gegenbeispiele von Verlagen, die die Kunst in den Mittelpunkt stellen und nicht irgendein Zahlenkonstrukt und die Option auf Profit, und das ist großartig. Und das war seit dem ersten Moment, immer unsere Intention von SternenBlick: Der Zusammenschluss kreativer Köpfe in verschiedenen Konstellationen, um neue Stimmen der Wortkunst fair und künstlerfreundlich hör- und sichtbar zu machen. Dementsprechend bin ich vollkommen zufrieden mit der Übereinkunft, die wir bezüglich des Buches treffen konnten, und ich kann mich nur bei Stephanie Mattner für all das, was uns seit Jahren verbindet, bedanken. Es fühlt sich daher wie eine Art Nachhausekommen an, ein Näherheranrücken an das, was uns – und damit meine ich alle, die SternenBlick zu dieser wundervollen Geschichte machten und machen – verbindet."
Du hast bereits viele Titel im Selbstverlag herausgebracht
(u.a "andere
nächte gleiches haus. gedichte 2013" und "hier,
etc.") und diese ausschließlich
als E-Books in den Handel gegeben. Warum hast du gerade "#DieLetzteFarbe" erkoren,
als erste Printveröffentlichung aus deinem Oeuvre?
Ben: "#DIELETZTEFARBE ist zum einen der nächste Schritt in meiner künstlerischen Entwicklung, und zugleich fühlt es sich – wie bei jedem neuen Projekt mit dieser bestimmten Art von Bedeutung - wie das Debüt an. Es ist etwas signifikant anderes als alles, was ich zuvor probierte, fertigstellte und veröffentlichte. Es ist keine bloße Aneinanderreihung verschiedener Gedichte, die sich voneinander abgrenzen und wie Nachbarn in einer Großstadt anonym nebeneinander her leben. Viele Stücke in dem Buch gehören zueinander; sie sind verbunden mit derselben Geschichte, mit denselben Protagonisten, verbunden durch diese Stimmung, für die ich kein passendes Wort jedes Mal finde, die einen sehr ergreifen kann, und zuallerletzt ist da ja immer derselbe Bezug zu Berlin: Die Stadt, die pulsiert. Die Stadt, die für Lina und Jurek und Naile und Siebenschneider zu Hause bedeutet. Ich bin sehr gespannt, wohin es sie und uns treibt, der ganze Stoff, der noch nicht erschöpft ist und noch weitere Überraschungen für uns bereit hält."
Dein Gedichtband ist besonders, weil er im Grunde eine Art Theaterstück abbildet,
ohne dabei die klassischen Elemente zu nutzen.
Erzähle uns ein wenig darüber, was es mit dem Inhalt auf sich hat.
Ben: "Es war spannend für mich zu sehen, wie sich das Buch entwickelt, die Rahmenhandlung, all die Szenen, die nebenbei und parallel geschehen, all das. Das war ein ganz
organischer Prozess und nicht etwas, dass ich auf dem Reißbrett vorher skizzierte und dann abarbeitete. Das hätte nicht funktioniert. Ich liebe die natürliche Ästhetik des Wortes, nicht die
artifizielle Seite von Kunst. Ich liebe es, wenn sich ein Fühlen abzeichnet aus dem, was ich wahrnehme. Ein Gespür für den Moment, eine Bereitschaft, das Beobachtete, das Erfasste auf mich wirken
lassen zu können. Sozusagen bin ich ein Teil des Ensembles, das ihre Kreise zieht in Ost-Berlin Anfang der 1970er Jahre, um im Laufe der Zeit mit dem System zu brechen und sich eben jenem zu
entziehen. Ich bin der stille Beobachter unter den Bühnenschauspielern, der hinter dem Vorhang jede Wendung des Geschehens, jede Wendung der Haltungen der Protagonisten unter- und zueinander
notiert und die Risse im System mit ihnen gemeinsam, so lange es geht, aushält.
Zugleich wird diese Rahmenhandlung durch Stücke bewusst ergänzt, die aus dem jeweiligen Akt abweichen und das Geschehen aufsplitten und auf dem ersten Blick nicht Teil der Geschichte sind. Diese
Texte sind teils vor Projektbeginn entstanden, tragen aber zugleich jeweils durch unterschiedliche Betrachtungsweisen durchaus zur Abrundung der Handlung bei. Das eine ist die Fantasie, aber das
Gegenstück darf nie ganz fehlen: das immer Wiederkehren in das Hier, was gut an den sozialkritischen Texten wie „deutsches bild“, „wach“ oder „ein ganz normaler abend“ deutlich wird, die
eigentlich losgelöst von der Hauptthematik entstanden und teilweise älter sind. Und zugleich sind Lina, Jurek, Kassandra allesamt politische Jungrebellen, womit diese Gedichte ihre Bezugsfindung
zu den Akteuren im Band vorweisen konnten. Kunst ist zugleich immer Politik, wie Liebe immer eine Art Politik ist von innen heraus, vom Herzen, also eine, die Menschen wirklich verstehen."
Welches der enthaltenen Gedichte liegt dir besonders am Herzen und warum?
Ben: "Ich mag es, wenn Gedichte Geschichten erzählen, die einen Augenblick wirklich vollkommen machen können, losgelöst von allen Umständen, in denen sie entstehen oder eingebunden sind, losgelöst von einem Davor und einem Danach. Ich mag Atmosphäre. Ich mag es, wenn Stimmungen fühlbar werden und nachgezeichnet werden können von dem, der sie empfängt. In dem Buch sind viele solcher Texte, die derartiges ausstrahlen und eine Wichtigkeit für mich haben und mich auch schon lange begleiten. „naile“ hat beispielsweise dieses Etwas, das reizt. Etwas, das mich komplett und über lange Zeit einfangen kann. Diese Beschreibung einer Sehnsucht, diese blanke Intimität zwischen zwei Seelen, die einander berühren trotz aller Barrikaden um sie herum. Diese Sinnlichkeit zwischen den Zeilen, ein Erinnern an Nähe, ein Flüstern in ihren Träumen, das ihnen niemand nehmen kann am Ende. Das ist, denke ich, was immer zählt und mich immer anspricht. Nicht nur bei meinen eigenen Texten, sondern generell bei allem, was mir vor und unter die Augen kommt."
naile
ich darf niemals für dich sein,
sagt dir dein vater,
also halte (es) aus ohne seine liebe,
sagt er –
oder geh...
naile, dein schwarzes haar so weich,
naile, und das kissen, auf dem dein duft
+ ich, ja, ich, noch zehrend vom süßlichen ton
deiner zimtigen haut,
mich winde gegen diesen schnitt.
naile, deine stimme in meinem kopf,
hörst du?
hier deine weichen lippen, die geschlossnen lider,
unter denen wir träumen, ein letztes mal
jedes berühren, ein festhalten, ein leugnen,
ja, eine vernunft, die wir nicht sind.
du hier neben mir,
+ nichts andres hat jemals bestand,
was jemand zuvor je so zärtlich fand
vor deinem blick in die stille...
geräusch; stille...
wie ich sie nur jemals ohne dich fülle?
Du hast dich entschieden, dein Buch (in Teilen) auch zu vertonen und in deinem Soundcloud-Kanal
verfügbar zu machen. Was gibt dir diese Möglichkeit dich auszudrücken?
Ben: "Die Vertonung von Texten gewährt mir selber neue Blickwinkel auf die Geschichten, die ich ursprünglich versucht habe zu erzählen. Es ist wie das Ausprobieren beim Ausleuchten des Bühnenbildes aus verschiedenen Perspektiven, ein sich den Figuren nähern von allen Seiten. Zugleich denke ich, und zumindest geht es mir bei Autoren so, die ihre Texte vertonen oder öffentlich lesen und aufführen, dass ich durch ihre öffentliche Annäherung zu ihren eigenen Gedanken viel tiefer in jene eintauchen kann – soweit der Funke überspringt. Es geht hierbei um eine zusätzliche Verbindung zwischen Künstler und Publikum, die für beide Seiten unheimlich viele Erkenntnisse bereithält. Wir haben noch einige Aufnahmen von #DIELETZTEFARBE, die im Laufe der nächsten Zeit ihren Weg in das Gehör interessierter Leser und Zuhörer finden werden, und wir freuen uns, wenn hierbei dieser eben skizzierte besondere Bezug zueinander entsteht."
Was sind deine nächsten künstlerischen Projekte, die du planst?
Ben: "Derzeit arbeite ich an einem ersten Romanversuch, der Teil der Triologie-Reihe um den Lina-Jurek-Stoff ist: „IM DEZEMBER, JUREK“ geht dabei noch intensiver auf die
Geschehnisse in Ost-Berlin ein, die beide letztlich zu dem gemacht haben, was und wer und wie sie sind. Ich arbeite hier mit vielen Rückblenden und dem intensiveren Einbezug der
Nebenprotagonisten wie Naile, Liam und David, die unbedingt angehört werden müssen. Ich bin gespannt, wohin es mich führt, wohin es mich mit diesen besonderen Charakteren gemeinsam
hinführt.
Das dritte Projekt im Bunde ist die Arbeit an der Dokumentation "INSANDEREBLAUDERNACHT“, in der ein Nachspüren eines Dichters auf den Wegen seiner vergangenen großen Liebe porträtiert wird, das
ihn durch so manche Erinnerung und so mancher Überraschung im Hier führt. Könnte es also hier auch um Naile gehen?! Wir wissen es wohl erst dann genau, wenn der erste wahre Blick Wirklichkeit
wird... Für beide Projekte gilt aber, dass sie ihre Zeit bekommen, die sie zur vollkommenen Entfaltung brauchen. Der Weg ins Abenteuerland der Fantasie und Poesie ist nämlich immer ein
natürlicher und nie etwas Erzwungenes. Das habe ich in all den Jahren lernen dürfen, was mich zum einen sehr beruhigt, weil ich nicht mehr den inneren Druck verspüre, mich in gewissen Abständen
öffentlich machen zu müssen – dafür habe ich in den letzten Jahren sehr viel hinausgetragen von meiner Kunst, und das beruhigt doch schon sehr."
Ich danke Ben für das schöne Interview und die lieben Worte :).
Weitere Informationen zum Werk "#DieLetzteFarbe" findet ihr in der Rubrik Poetenförderung.
Ihr könnt Ben und seine Kunst auch hier finden:
Amazon, Soundcloud, XinXii, Facebook und im Kiel-Wiki